jazzkeller 69 e.V. Archiv


05.01.2007 - Einlass: 21:00:00 Beginn: 21:30:00
Aufsturz - Oranienburger Strasse 67-68, 10117

Die Entäuschung

Die Enttäuschung - Jan Roder - Bass
Die Enttäuschung - Axel Dörner - Trompete
Die Enttäuschung - Rudi Mahall - Bassklarinette
Die Enttäuschung - Uli Jenneßen - Schlagzeug

Die Luft ist in der Schwebe zwischen Rauschen und Schönklang Bei DER ENTTÄUSCHUNG entspinnt sich ein anderer Jazzprozess, der den Eingriff von Außen wieder in das Innen eines nunmehr neuen Standards hereinholt. Es ist dies ein Prozess der Vermittlung von Außen und Innen, der auf die individuelle Ebene zurückgreift, z.B. auf das Vokabular, das Axel Dörner dem Stream-of-Consciousness des Free Jazz wie auch der Tradition abgerungen hat: Die Luft ist in der Schwebe zwischen Rauschen und Schönklang. Diese Techniken sind Eingriffe in die Vorstellung, wie sich eine Trompete anzuhören hat, nämlich wohltemperiert und also bürgerlich.

der Noise-Musik beeinflussten Gruppen Stol oder Potawatomi einen anderen Umgang mit Prozessen der Improvisation: Wie verhält sich eine Bassklarinette zu lärmenden E-Gitarren und knisterndem Vinyl? Im Zusammenspiel mit den Heroen des modernen Jazz, Alex v. Schlippenbach, Han Bennink, Aki Takase, Lee Konitz, Sven-Ake Johansson, hat er einen ausgeprägten Sinn für Form, das Wissen um den richtigen Einsatz, entwickelt. Ein Formgespür, das sich freilich nur durch imprivisatorische Intuition entfalten kann. Nimmt man noch Schlagzeuger Ulrich Jenneßen hinzu, der mit der Arbeit an Rock und Hardcore beeinflussten Projekten ebenfalls Erfahrungen außerhalb des Jazz mitbringt, und Jan Roder, der eine akademische Ausbildung als Kontrabassist vorzuweisen hat, kommt man zur 'Enttäuschung'.

DIE ENTTÄUSCHUNG lässt sich allerdings nicht auf die Beiträge der einzelnen Musiker reduzieren. Das spricht für den Gruppensound und damit wiederum für die Musiker, deren individuelle Aktionen schließlich erst diesen irreduziblen Sound ermöglichen. Sie sind klug genug, die Kollektivität nicht zur Identität zur verfestigen, auch wenn sich Stücke, Zitate und der Umgang mit ihnen als originäre 'Enttäuschung'-Einfälle identifizieren lassen. Es geht bei ihren Unternehmungen um Ausgangspunkte, nicht um Ziele (was auch meint, dass es nicht darum geht, zu wissen, wo, sondern wie es weitergeht). Nichts wäre ja einfacher, als das Zusammenspiel und seine Reproduzierbarkeit über Ergebnisse instrumentaltechnischer Licks resp. eingängige Standards zu definieren. Bloß wird somit Methode, z.B. Virtuosität, mit dem Ziel verwechselt.

... In diese Rituale klinkt sich DIE ENTTÄUSCHUNG ein, revitalisiert sie, macht Brüche, Schwierigkeiten des Übergangs von einem Segment zum andern deutlich. Die Musiker erarbeiten sich ein Verständnis von einem befreiten Jazz, der sich konkret zum vorgegebenen Material verhält. Nicht über das Destruieren von Regeln konstituiert sich ihre Musik. Vielmehr werden diese als willkürliche, also als gesetzte und nicht naturgemäße kenntlich gemacht. Man höre ihren Umgang mit den Thelonious Monk-Stücken 'Trinkle Kinkle' oder 'Thelonious' oder die von Axel Dörner komponierten Andeutungen 'Murx' oder 'Pfusch' (sic!), die sich zu ausschweifenden Improvisationsdiskursen umgekehrt proportional verhalten. Gleichzeitig erden sie ihre spezifischen Techniken in einem sehr jazz-mäßigen Sound: Tradition und Technik stützen sich gegenseitig und durchdringen sich. Das Kunststück dieser Aufnahmen bestand darin, nach allen Seiten abgesichert zu sein, ohne auftrumpfend selbstsicher zu klingen. Das setzt Millimeterarbeit voraus, die die Verhältnisse Innen-Außen, Europa-Amerika, Einzelner-Kollektiv haarscharf ungenau bestimmt.

dass das Ganze abgehangen swingt, muss nicht näher erläutert werden. ~ [ Felix Klopotek (SPEX) ]

http://www.kultours-music.de/entaeuschung.htm