jazzkeller 69 e.V. Archiv


01.10.2004 - Einlass: 21:00:00 Beginn: 21:30:00
Aufsturz - Oranienburger Strasse 67-68, 10117

Ruf der Heimat

Ruf der Heimat - Thomas Borgmann - Holzblasinstrumente
Ruf der Heimat - Christoph Winckel - Bass
Ruf der Heimat - Willi Kellers - Schlagzeug
Ruf der Heimat - Ernst-Ludwig 'Luten' Petrowsky - Holzblasinstrumente

Es bricht hervor. Klanggewaltig. Wie eine Druckwelle. Das Ich und das Es und das Wir. Ruf der Heimat läßt eine Kollektivgesinnung wach werden, die nichts mit arbeitsteiligen Bastelstunden zu tun hat. Die Energie des Spielflusses entwickelt ihre eigenen Formen. Große Spannungsbögen und filigrane Ziselierungen der mächtig in die Arena geworfenen Tonstücke. Ein archaisches Ritual, gleichwohl ein Griff nach der Utopie. Schließlich ganz gegenwärtig: die Unmittelbarkeit des Musizierens, des Musik-Machens. Physische Direktheit und emotionaler Aufschrei, Qual und Lust des Erschaffens aus dem Moment. Ganz in der Tradition des 'sound of the cry', des Jazz als Lebens- und Überlebensmedium. Lautstark persönliche Setzung gegen offizielle Verlautbarungen. Entgegensetzung und Selbst- ohne Schutzbehauptung.luten petrowsky Heimat meint wohl für immer mehr immer weniger konkret Geographisches. Sofern es überhaupt sinnvoll erscheint, den Gruppennamen thematisch zu deuten, wäre nach dem Assoziationsfeldern der musikalischen Heimat zu fragen, nach den Wurzeln in Jazztradition und den Verzweigungen im Gestrüpp der freien Improvisation. Ernst-Ludwig Petrowsky, den der Klang des Jazz bereits in den fünfziger Jahren herausgefordert hat, kann am weitesten zurück- und doch in enger Tuchfühlung mit Thomas Borgmann, dem Jüngeren, zugleich vor-ausblicken. Sie alle, auch Christoph Winckel und Willi Kellers kamen in den Turbulenzen des Free Jazz zu neuen Ein- und Aussichten. Kaputtspiel und Ganzheitserlebnis. Vertrauen in die vorbehaltlose Selbstäußerung. In die Kraft, den Augenblick zu gestalten. In die Fähigkeit, den Ruf zu beantworten. Nicht als Echo, sondern mit eigenen Stimmen und eigenen Liedern auf den Lippen. Auch die Bläser machen in diesem Quartett den Rhythmus, auch der Baß und das Schlagzeug singen und schreien. Im Spektrum der Holzblaskombinationen kommt die Ballade ebenso ins Assoziationsfeld wie die Materialerforschung. Der Erzählgestus ebenso wie die Sound-Collage. Heimatlinien führen zurück zu den hitzigen Jahren des schwarzen Aufbruchs und zu den Befreiungsprozessen des europäischen Jazz. Eine Emanzipation mit Folgen. Free Jazz nicht als Schimpfwort und ohne die Vorsilbe 'post-'. Rück- und Vorausgriff. Aktuelle Musik, die weder einer Erklärung noch einer Rechtfertigung bedarf. Musik deren heißer Atem auf der Haut brennt. ~ Bert Noglik